1.1 Forschungs- und Wissensstand

 

Der erste „neuzeitliche“, die Genealogie berücksichtigende Biograph Hildegards war – inner-halb seiner Chroniken – Johannes Trithemius. [1 Klaus Arnold, Trithemius (QForschG des Bistums und Hochstiftes Würzburg 23), Würzburg, 2 1990.] Ihm wird noch heute hie und da Glauben geschenkt. Den Wert seiner Darstellung diskutiere ich in 2.32.32.32.3.
Eine viel bessere, trotz einiger Irrtümer vorbildliche und natürlich durch Erschließung weiterer Quellen heute überholte Untersuchung, die auch wichtige Dokumente zuverlässig ediert, stellt das von Stilting verantwortete Hildegard-Kapitel in den von den Bollandisten herausgegebenen Acta sanctorum dar, das nur daran krankt, dass es den Trithemius-Behauptungen glaubt, obwohl es einzelne korrigiert.
Mit der Genealogie Hildegards beschäftigte sich dann Johannes May. [2 Johannes May, Die heilige Hildegard von Bingen aus dem Orden des heiligen Benedikt (1098–1179), 1911, S. 5. – ders., Die Abstammung der hl. Hildegard, in: Der Katholik 31 (1905), S. 298ff. – ders., Die  Familie der hl. Hildegard, in: Der Katholik 37 (1938), S. 143ff.] Seine Einreihung Hildegards in die Adelsfamilie der späteren Rheingrafen beruht, wie Marianna Schrader festgestellt hat, auf dem fundamentalen Fehler, dass er den Mainzer Domkantor Hugo mit einem als Zeuge auftretenden Laien Hugo von Stein verwechselte, der außerdem auch nicht zu den Adligen vom Rheingrafenstein, sondern zu denen von Stein-Kallenfells gehörte.
Zweifellos hat dann Marianna Schrader Hildegard eine in den wichtigen Einzelheiten richtige genealogische Einordnung gegeben. Dass sie es auf eine eher laienhafte und ihrer argen Lebenszeit verhafteten Art tat, verrät schon der Titel der Veröffentlichung, in der sie ihre Erkenntnisse zusammenfasste: „Heimat und Sippe der deutschen Seherin Sankt Hildegard“. [3 Marianna Schrader O. S. B., Heimat und Sippe der deutschen Seherin Sankt Hildegard. 1941.] 1981 hat Adelgundis Führkötter die Schraderschen Ergebnisse neu bearbeitet und unter minder verfänglichem Titel herausgegeben. [4 Marianna Schrader, neu bearbeitet von Adelgundis Führkötter, Die Herkunft der heiligen Hildegard (QAmrhKG 43), 1981.] Die wissenschaftlichen Schwachpunkte hat sie nicht eliminiert. Sie entspringen recht naiven Vorstellungen über die Sozial- und Adelsgeschichte im 11. und 12. Jahrhundert. Schrader/Führkötter suchen einen „Geschlechtsnamen“ Hildegards, den es garnicht gegeben haben kann. [5 Noch kurioser S. 24 „den Familiennamen, den wir suchen“, S. 30: „von Vermersheim ist der Geschlechtsname, Bermersheim der Stamm- und Familiensitz“ (obwohl Vermerssheym nach S. 64, Anm. 13 Schreibweise des Kopisten ist).]
Die Regionalgeschichte und erst recht die Hildegard-Literatur haben die Ergebnisse von Schrader recht unbesehen übernommen. Eine Rezension von Karl Hermann May [6 in: NassAnn 61 (1950), S. 218] bestätigte, was richtig war, fügte weiterweisendes, aber auch Irrtümer hinzu. Neuere selbständige Arbeiten zu Hildegards Genealogie oder zu Einzelfragen gibt es meines Wissens nicht, in den fast unübersehbaren Hildegard-Darstellungen aller möglichen Medien werden, soweit ich es überprüfen konnte, diese Angaben übernommen und häufig noch romanhaft ausgeschmückt.
Bei dieser Forschungslage lohnt es, die Quellen nochmals zu befragen und möglichst auch die für Hildegard wichtigen Personen genealogisch einzuordnen. Stärker als man gemeinhin annimmt, treten Hinweise – Beweise sind es noch nicht– auf verwandtschaftliche Beziehungen untereinander und wohl auch zu Hildegard zutage. Hier geht es also nicht nur um die Abstammung Hildegards. Genealogische Erkenntnisse können aber, das sei vorausgeschickt, so gut wie nichts zur Deutung einer Persönlichkeit beitragen, freilich einiges zu ihrem sozialen Umfeld.

1.1 Forschungs- und Wissensstand

 

Der erste „neuzeitliche“, die Genealogie berücksichtigende Biograph Hildegards war – inner-halb seiner Chroniken – Johannes Trithemius. [1 Klaus Arnold, Trithemius (QForschG des Bistums und Hochstiftes Würzburg 23), Würzburg, 2 1990.] Ihm wird noch heute hie und da Glauben geschenkt. Den Wert seiner Darstellung diskutiere ich in 2.32.32.32.3.
Eine viel bessere, trotz einiger Irrtümer vorbildliche und natürlich durch Erschließung weiterer Quellen heute überholte Untersuchung, die auch wichtige Dokumente zuverlässig ediert, stellt das von Stilting verantwortete Hildegard-Kapitel in den von den Bollandisten herausgegebenen Acta sanctorum dar, das nur daran krankt, dass es den Trithemius-Behauptungen glaubt, obwohl es einzelne korrigiert.
Mit der Genealogie Hildegards beschäftigte sich dann Johannes May. [2 Johannes May, Die heilige Hildegard von Bingen aus dem Orden des heiligen Benedikt (1098–1179), 1911, S. 5. – ders., Die Abstammung der hl. Hildegard, in: Der Katholik 31 (1905), S. 298ff. – ders., Die  Familie der hl. Hildegard, in: Der Katholik 37 (1938), S. 143ff.] Seine Einreihung Hildegards in die Adelsfamilie der späteren Rheingrafen beruht, wie Marianna Schrader festgestellt hat, auf dem fundamentalen Fehler, dass er den Mainzer Domkantor Hugo mit einem als Zeuge auftretenden Laien Hugo von Stein verwechselte, der außerdem auch nicht zu den Adligen vom Rheingrafenstein, sondern zu denen von Stein-Kallenfells gehörte.
Zweifellos hat dann Marianna Schrader Hildegard eine in den wichtigen Einzelheiten richtige genealogische Einordnung gegeben. Dass sie es auf eine eher laienhafte und ihrer argen Lebenszeit verhafteten Art tat, verrät schon der Titel der Veröffentlichung, in der sie ihre Erkenntnisse zusammenfasste: „Heimat und Sippe der deutschen Seherin Sankt Hildegard“. [3 Marianna Schrader O. S. B., Heimat und Sippe der deutschen Seherin Sankt Hildegard. 1941.] 1981 hat Adelgundis Führkötter die Schraderschen Ergebnisse neu bearbeitet und unter minder verfänglichem Titel herausgegeben. [4 Marianna Schrader, neu bearbeitet von Adelgundis Führkötter, Die Herkunft der heiligen Hildegard (QAmrhKG 43), 1981.] Die wissenschaftlichen Schwachpunkte hat sie nicht eliminiert. Sie entspringen recht naiven Vorstellungen über die Sozial- und Adelsgeschichte im 11. und 12. Jahrhundert. Schrader/Führkötter suchen einen „Geschlechtsnamen“ Hildegards, den es garnicht gegeben haben kann. [5 Noch kurioser S. 24 „den Familiennamen, den wir suchen“, S. 30: „von Vermersheim ist der Geschlechtsname, Bermersheim der Stamm- und Familiensitz“ (obwohl Vermerssheym nach S. 64, Anm. 13 Schreibweise des Kopisten ist).]
Die Regionalgeschichte und erst recht die Hildegard-Literatur haben die Ergebnisse von Schrader recht unbesehen übernommen. Eine Rezension von Karl Hermann May [6 in: NassAnn 61 (1950), S. 218] bestätigte, was richtig war, fügte weiterweisendes, aber auch Irrtümer hinzu. Neuere selbständige Arbeiten zu Hildegards Genealogie oder zu Einzelfragen gibt es meines Wissens nicht, in den fast unübersehbaren Hildegard-Darstellungen aller möglichen Medien werden, soweit ich es überprüfen konnte, diese Angaben übernommen und häufig noch romanhaft ausgeschmückt.
Bei dieser Forschungslage lohnt es, die Quellen nochmals zu befragen und möglichst auch die für Hildegard wichtigen Personen genealogisch einzuordnen. Stärker als man gemeinhin annimmt, treten Hinweise – Beweise sind es noch nicht– auf verwandtschaftliche Beziehungen untereinander und wohl auch zu Hildegard zutage. Hier geht es also nicht nur um die Abstammung Hildegards. Genealogische Erkenntnisse können aber, das sei vorausgeschickt, so gut wie nichts zur Deutung einer Persönlichkeit beitragen, freilich einiges zu ihrem sozialen Umfeld.